Heinrich-Nordhoff-Gesamtschule

Integrierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe

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Spiegelkind 

Mit leeren, toten Augen sah er mich an.

Es schien als ob wir uns ewig nicht gesehen hatten, doch bevor ich ein Wort über sein verheultes Gesicht verlieren konnte, sagte er nur:

„Es geht mir gut.“

Ich versuchte auf ihn einzureden, wollte wissen was passiert war, aber er sah mich nur mit ausdruckslosen Augen an.

„Ich fühle mich gut.“

Mehr als das sagte er nicht, sah aber weiter abwesend in die ferne und strich sich das zerzauste, schwarze Haar zur Seite.

„Ja… Es geht mir gut.“

Sein Mund lächelte, seine Augen waren tot, schienen nicht zu ihm zu gehören und eine andere Sprache zu sprechen.

Ich nahm seine kalte Hand in meine, besah sein aschfahles, eingefallenes Gesicht und seufzte leise.

Sein Körper war ausgemergelt und schien in einen unwirklichen Kontrast zu seiner Umwelt zu stehen.

„Es geht mir gut.“

Er hatte schon immer Probleme, seid ich ihn kannte hatte er nie Freunde oder Familie, außer mir…

Ich strich ihm fahrig durch das Haar, wir hockten uns genau gegenüber.

Meine Hand strich über seinen Hals mit den Würgemalen, über seinen Körper mit den Brandwunden und roten Striemen, die so krass auf der bleichen Haut hervortraten.

Sie fuhr weiter zu seinen aufgekratzten Oberamen und den Striemenverzierten   Handgelenken.

Nachdenklich strich meine Hand jede Narbe auf seinen blutigen Armen nach, verweilte bei der länglichen auf dem Gelenk, aus der unaufhörlich Blut tropfte.

Er schien meine Berührungen satt zu haben, denn er nahm meine Hände in seine, drückte sie leicht, strich dann über meine eigenen tiefen Narben und lächelte.

Gedankenverloren strich er durch mein schwarzes, zerzaustes Haar, betrachtete eingängig die toten, seelenlosen Augen und meine aschfahle Haut auf der die roten Striemen besonders gut zur Geltung kamen.

Sein Blut in meinem, mein Blut in seinem, wir waren eins.

„Mir geht es gut… und dir?“ 

Ende

 

Wenn Bücher träumen  

Es war ein warmer, um nicht zu sagen heißer, Tag im Juli.

Eoin Levke würde alles dafür geben um bei seinen Freunden zu sein. Alle waren draußen in der Hitze und hatten ihren Spaß, aber was machte er? Saß in der verstaubten Bibliothek seiner Stadt und sortierte Bücher…

Wie es dazu gekommen war?

Nun, Eoin hatte zusammen mit ein paar Freunden Scheiben der Schule eingeworfen. Nur  wurde er als einziger erwischt, und die anderen konnten schnell abhauen.

Er erinnerte sich ganz genau, der Direktor hatte einen fürchterlichen Aufstand gemacht und ihn angeschrieen, dass ein Junge in seinem Alter, er war 17, sich doch einmal seines Alters entsprechend benehmen sollte…

Eoin machte sich nichts daraus, lies das Geschrei über sich ergehen und beachtete es nicht weiter. Erst als der Direktor ihn dazu verdonnerte in den Sommerferien in der Bücherei zu arbeiten wurde er hellhörig.

Er protestierte, schimpfte, doch es brachte ihm alles nichts mehr. Nun saß er hier und durfte Bücher sortieren…

Ein wiederholter Seufzer verließ seine Lippen und er nahm sich den nächsten Packen Bücher vor.

Doch was war das?

Vorsichtig zog er ein Buch zwischen den anderen hervor und betrachtete es genauer.

„Die Kunst zu träumen“, las er halblaut vor und besah sich den Umschlag.

Der Umschlag war rot und gold verziert, wirkte aber an einigen Stellen zerfleddert.

Auf der Titelseite war nur ein Buch zu sehen.

Normalerweise machte er sich nichts aus Büchern, aber dies hier weckte sein Interesse. Vorsichtig drehte er es um, stellte aber fest dass es keinen Klappentext hatte.

Als er es aufschlug bemerkte er erst wie staubig es war und dass die Buchstaben in einer älteren Schrift verfasst waren.

Schnell sah sich Eoin um, die Bibliothekarin schien ein wichtiges Telefonat zu haben.

Na, ein kleiner Blick hinein konnte nicht schaden, dachte er nur und begann zu lesen.

 

„Alles hat ein Ende, nur dieses Buch hat unendlich viele.

Wer es liest wird so manches entdecken, was man selber nie für möglich gehalten hätte.

Seine Möglichkeiten sind Grenzenlos…

Kennst DU deine Geschichte? Weißt DU was andere in dir lesen können?“

 

Eoin legte das Buch zur Seite und sah es schief an. Fing ja schon mal toll an…

Dinge die er nicht über sich wissen sollte? Ausgeschlossen.

Was sollte ein einzelnes Buch schon über ihn wissen? Das war doch Schwachsinn.

Schnell sortierte er die Bücher weiter, er hatte schon einen bösen Blick zugeworfen bekommen.

Aber egal wie sehr er versuchte sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, sein Blick glitt immer in Richtung des Buches, welches so verlassen auf der Ecke eines Tisches lag.

„Ach verdammt!“, fluchte er, griff sich das Buch, schlug es auf und begann weiter zu lesen.

 

„Willkommen zurück Eoin.“

 

„W…was?“ Er starrte das Buch verwirrt an und las weiter.

 

„Mein Name ist Fagus und wenn du dich fragst woher ich dich kenne… Ich weiß alles über dich, ich bin ein Teil von dir.“

 

„Wie soll das möglich sein?“

 

„Ich würde an deiner Stelle nicht so laut sprechen, die Leute gucken schon komisch…

Wie das möglich ist?

Nun, stell dir einmal vor es gibt Bücher, die älter sind als die Menschheit.

Bücher die so alt sind, dass sie die Menschen erfunden haben und nicht andersrum.

Das Bücher träumend Menschen erschaffen und diese wiederum dazu bewegen sie zu schreiben und weiter zu führen?

Jedes Buch kennt deine Geschichte, jedes Buch weiß wer du bist, denn jedes Buch hat dazu beigetragen das du erfunden wurdest.“

 

Jetzt deutlich flüsternd meinte Eoin schockiert:

„Das ist nicht dein Ernst oder?“

 

„Nein, aber es wäre doch lustig wenn so wäre oder?“

Eoin konnte das Buch schon fast lachen hören.

Das Buch anknurrend schlug er es zu und brachte es der Bibliothekarin.

Er war schon eindeutig zu lange in der stickigen Bücherei. Vielleicht bekam ihm die Luft nicht, wenn er sich jetzt schon mit Büchern unterhielt…

„Entschuldigen sie Bitte, wo gehört das Buch hin?“

Sie nahm ihm das Buch ab, richtete ihre alte Lesebrille und untersuchte das Buch.

„Das gehört uns nicht und so wie es aussieht können wir es auch nicht mehr gebrauchen, Nimm es einfach mit und mach Schluss, für heute bist du fertig.“

Sie lächelte ihm freundlich zu und wandte sich selber einem Buch zu.

Kopfschüttelnd verließ Eoin die stickige Bibliothek und ging nach draußen. Dort setzte er sich auf den Bürgersteig und öffnete das Buch, doch bevor er lesen konnte fiel ein Schatten über ihn.

Eoin sah überrascht nach oben, blinzelte ein paar Mal der Sonne entgegen und bemerkte dass ein Junge über ihn gebeugt stand.

 

„Hallo Eoin.“

 

„Und wer bist du?“

Er hatte heute mehr als genug von merkwürdigen Bekanntschaften.

Der Junge lachte, warf sich das längliche blonde Haar über die Schulter und meinte grinsend:

„Erkennst du mich nicht? Ich bin es Fagus…“

Dann lachte er freudig und lief weg, ließ nur einen sehr verwirrten Eoin zurück.

Nach einiger Zeit war er sich sicher dass sich da nur jemand einen Scherz mit ihm erlaubt hatte. Seufzend wandte er sich wieder dem alten Buch auf seinem Schoß zu.

Aber alles was er darin vorfand war ein letzter Eintrag mit krakeliger Handschrift geschrieben.

 

„Danke für die Rettung aus der Bibliothek – ein Buch sollte frei sein dürfen, meinst du nicht auch?.“

 Ende