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Spiegelkind Mit leeren, toten Augen sah er mich an. Es schien als ob wir uns ewig nicht gesehen hatten, doch bevor ich ein Wort über sein verheultes Gesicht verlieren konnte, sagte er nur: „Es geht mir gut.“ Ich versuchte auf ihn einzureden, wollte wissen was passiert war, aber er sah mich nur mit ausdruckslosen Augen an. „Ich fühle mich gut.“ Mehr als das sagte er nicht, sah aber weiter abwesend in die ferne und strich sich das zerzauste, schwarze Haar zur Seite. „Ja… Es geht mir gut.“ Sein Mund lächelte, seine Augen waren tot, schienen nicht zu ihm zu gehören und eine andere Sprache zu sprechen. Ich nahm seine kalte Hand in meine, besah sein aschfahles, eingefallenes Gesicht und seufzte leise. Sein Körper war ausgemergelt und schien in einen unwirklichen Kontrast zu seiner Umwelt zu stehen. „Es geht mir gut.“ Er hatte schon immer Probleme, seid ich ihn kannte hatte er nie Freunde oder Familie, außer mir… Ich strich ihm fahrig durch das Haar, wir hockten uns genau gegenüber. Meine Hand strich über seinen Hals mit den Würgemalen, über seinen Körper mit den Brandwunden und roten Striemen, die so krass auf der bleichen Haut hervortraten. Sie fuhr weiter zu seinen aufgekratzten Oberamen und den Striemenverzierten Handgelenken. Nachdenklich strich meine Hand jede Narbe auf seinen blutigen Armen nach, verweilte bei der länglichen auf dem Gelenk, aus der unaufhörlich Blut tropfte. Er schien meine Berührungen satt zu haben, denn er nahm meine Hände in seine, drückte sie leicht, strich dann über meine eigenen tiefen Narben und lächelte. Gedankenverloren strich er durch mein schwarzes, zerzaustes Haar, betrachtete eingängig die toten, seelenlosen Augen und meine aschfahle Haut auf der die roten Striemen besonders gut zur Geltung kamen. Sein Blut in meinem, mein Blut in seinem, wir waren eins. „Mir geht es gut… und dir?“ Ende
Wenn Bücher träumen Es war
ein warmer, um nicht zu sagen heißer, Tag im Juli. Eoin
Levke würde alles dafür geben um bei seinen Freunden zu sein. Alle waren draußen
in der Hitze und hatten ihren Spaß, aber was machte er? Saß in der verstaubten
Bibliothek seiner Stadt und sortierte Bücher… Wie es
dazu gekommen war? Nun,
Eoin hatte zusammen mit ein paar Freunden Scheiben der Schule eingeworfen. Nur
wurde er als einziger erwischt, und die anderen konnten schnell abhauen. Er
erinnerte sich ganz genau, der Direktor hatte einen fürchterlichen Aufstand
gemacht und ihn angeschrieen, dass ein Junge in seinem Alter, er war 17, sich
doch einmal seines Alters entsprechend benehmen sollte… Eoin
machte sich nichts daraus, lies das Geschrei über sich ergehen und beachtete es
nicht weiter. Erst als der Direktor ihn dazu verdonnerte in den Sommerferien in
der Bücherei zu arbeiten wurde er hellhörig. Er
protestierte, schimpfte, doch es brachte ihm alles nichts mehr. Nun saß er hier
und durfte Bücher sortieren… Ein
wiederholter Seufzer verließ seine Lippen und er nahm sich den nächsten Packen
Bücher vor. Doch
was war das? Vorsichtig
zog er ein Buch zwischen den anderen hervor und betrachtete es genauer. „Die
Kunst zu träumen“, las er halblaut vor und besah sich den Umschlag. Der
Umschlag war rot und gold verziert, wirkte aber an einigen Stellen zerfleddert. Auf
der Titelseite war nur ein Buch zu sehen. Normalerweise
machte er sich nichts aus Büchern, aber dies hier weckte sein Interesse.
Vorsichtig drehte er es um, stellte aber fest dass es keinen Klappentext hatte. Als er
es aufschlug bemerkte er erst wie staubig es war und dass die Buchstaben in
einer älteren Schrift verfasst waren. Schnell
sah sich Eoin um, die Bibliothekarin schien ein wichtiges Telefonat zu haben. Na,
ein kleiner Blick hinein konnte nicht schaden, dachte er nur und begann zu
lesen. „Alles
hat ein Ende, nur dieses Buch hat unendlich viele. Wer
es liest wird so manches entdecken, was man selber nie für möglich gehalten hätte.
Seine
Möglichkeiten sind Grenzenlos… Kennst
DU deine Geschichte? Weißt DU was andere in dir lesen können?“ Eoin
legte das Buch zur Seite und sah es schief an. Fing ja schon mal toll an… Dinge
die er nicht über sich wissen sollte? Ausgeschlossen. Was
sollte ein einzelnes Buch schon über ihn wissen? Das war doch Schwachsinn. Schnell
sortierte er die Bücher weiter, er hatte schon einen bösen Blick zugeworfen
bekommen. Aber
egal wie sehr er versuchte sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, sein Blick
glitt immer in Richtung des Buches, welches so verlassen auf der Ecke eines
Tisches lag. „Ach
verdammt!“, fluchte er, griff sich das Buch, schlug es auf und begann weiter
zu lesen. „Willkommen
zurück Eoin.“ „W…was?“
Er starrte das Buch verwirrt an und las weiter. „Mein
Name ist Fagus und wenn du dich fragst woher ich dich kenne… Ich weiß alles
über dich, ich bin ein Teil von dir.“ „Wie
soll das möglich sein?“ „Ich
würde an deiner Stelle nicht so laut sprechen, die Leute gucken schon
komisch… Wie
das möglich ist? Nun,
stell dir einmal vor es gibt Bücher, die älter sind als die Menschheit. Bücher
die so alt sind, dass sie die Menschen erfunden haben und nicht andersrum. Das
Bücher träumend Menschen erschaffen und diese wiederum dazu bewegen sie zu
schreiben und weiter zu führen? Jedes
Buch kennt deine Geschichte, jedes Buch weiß wer du bist, denn jedes Buch hat
dazu beigetragen das du erfunden wurdest.“ Jetzt
deutlich flüsternd meinte Eoin schockiert: „Das
ist nicht dein Ernst oder?“ „Nein,
aber es wäre doch lustig wenn so wäre oder?“ Eoin
konnte das Buch schon fast lachen hören. Das
Buch anknurrend schlug er es zu und brachte es der Bibliothekarin. Er war
schon eindeutig zu lange in der stickigen Bücherei. Vielleicht bekam ihm die
Luft nicht, wenn er sich jetzt schon mit Büchern unterhielt… „Entschuldigen
sie Bitte, wo gehört das Buch hin?“ Sie
nahm ihm das Buch ab, richtete ihre alte Lesebrille und untersuchte das Buch. „Das
gehört uns nicht und so wie es aussieht können wir es auch nicht mehr
gebrauchen, Nimm es einfach mit und mach Schluss, für heute bist du fertig.“ Sie lächelte
ihm freundlich zu und wandte sich selber einem Buch zu. Kopfschüttelnd
verließ Eoin die stickige Bibliothek und ging nach draußen. Dort setzte er
sich auf den Bürgersteig und öffnete das Buch, doch bevor er lesen konnte fiel
ein Schatten über ihn. Eoin
sah überrascht nach oben, blinzelte ein paar Mal der Sonne entgegen und
bemerkte dass ein Junge über ihn gebeugt stand. „Hallo
Eoin.“ „Und
wer bist du?“ Er
hatte heute mehr als genug von merkwürdigen Bekanntschaften. Der
Junge lachte, warf sich das längliche blonde Haar über die Schulter und meinte
grinsend: „Erkennst
du mich nicht? Ich bin es Fagus…“ Dann
lachte er freudig und lief weg, ließ nur einen sehr verwirrten Eoin zurück. Nach
einiger Zeit war er sich sicher dass sich da nur jemand einen Scherz mit ihm
erlaubt hatte. Seufzend wandte er sich wieder dem alten Buch auf seinem Schoß
zu. Aber
alles was er darin vorfand war ein letzter Eintrag mit krakeliger Handschrift
geschrieben. „Danke
für die Rettung aus der Bibliothek – ein Buch sollte frei sein dürfen,
meinst du nicht auch?.“ Ende
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