Heinrich-Nordhoff-Gesamtschule

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Reden der Schüler der 10.1 und 10.2

                  am Auschwitzgedenktag, dem 27. Januar 2007,

                                        zur Kranzniederlegung auf dem Kinderfriedhof Werderstraße

  

Pia Joy Hoyck, 10.2

Viele unserer Mütter und Väter sind bei VW beschäftigt; sie empfinden sich als Werksangehörige und  das ist mehr, als nur irgendein Arbeiter, ein Angestellter irgendwo zu sein. Sie gehören zum Werk - wie auch das VW - Werk aus Wolfsburg nicht wegdenkbar ist. Viele Familien in Wolfsburg und dem Umland haben durch ihre Tätigkeit bei VW ein Einkommen, mit dem  sie ihre Familien ernähren können.

Dass der Aufbau dieser Fabrik, die sich heute in der Welt sehen lassen kann mit seinen Produkten und auch seinen Sozialleistungen, mit dem Leben der hier beerdigten Kinder bezahlt wurde, daran wollen wir uns heute erinnern.

  

Melissa Gollnow, 10.2

Frauen wurden  als Zwangsarbeiterinnen von 1939 bis 1945 aus verschiedenen europäischen Ländern in die Stadt des KdF – Wagens verschleppt. Der Grund war einleuchtend: Es fehlten Arbeitskräfte. Für den begonnen Krieg waren die Männer an die Front geschickt worden, die Frauen mussten für Rüstungsproduktion und die Aufrechterhaltung des täglichen Lebens arbeiten. Aus diesem Grund wurden aus den überfallenen Ländern, insbesondere den östlichen Nachbarländern Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und der Sowjetunion arbeitsfähige Frauen und Männer heran geschafft und zur Arbeit im entstehenden Werk gezwungen. Unterkunft, Behandlung  und Ernährung der Zwangsarbeiter aus dem Osten waren so angelegt, dass der Tod dieser Menschen zum Programm gehörte, d. h. es war nicht beabsichtigt, die Arbeiter wieder lebend in die Heimat zu entlassen.

  

Sabrina Necker, 10.1

„Jeder konnte uns schlagen, jeder konnte uns beleidigen“, schildert die Russin Marija Rybatschuk ihre Zeit im VW - Werk. Sie war als 16-Jährige deportiert worden.

Zwischen 1939 und 1945 wurden rund 6 Millionen Menschen als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt – eine unvorstellbare Zahl unglücklicher Menschen.

1940 waren 20 % der Werksarbeiter Ausländer, 1941 waren es schon 40 % und am Ende des Krieges waren es mehr als 70 % (das waren mehr als 11 000 gewaltsam verschleppte Menschen). Sie alle waren der Willkür ihrer Aufseher schutzlos ausgeliefert. „Man hat uns behandelt als seien wir weniger wert als Hunde“, sagte Marija Rybatschuk später. 20 Personen mussten sich einen Raum von 16 Quadratmetern teilen – „sie lebten in einem schrecklichen Elend“ beschrieb später ein französischer Zwangsarbeiter die Situation der Menschen.

  

Maren Kordes, 10.2

Um den Arbeitskräftemangel zu beheben, sollten russische Kriegsgefangene, die im Lager Fallingbostel untergebracht waren,  im VW – Werk eingesetzt werden. Die Männer waren aber derart entkräftet, dass an einen Einsatz nicht zu denken war: Sie hausten, um sich vor der Kälte zu schützen,  in selbst gegrabenen Erdlöchern, in unregelmäßigen Abständen wurde ihnen etwas Brot über den Zaun geworfen. Um zur Zwangsarbeit überhaupt eingesetzt werden zu können, mussten die fast verhungerten, kranken Männer erst aufgepäppelt werden. Es ist nicht bekannt, ob Ferdinand Porsche, der damalige Leiter des Werkes, in irgend einer Weise Anteil nahm am Schicksal der derart gequälten Kriegsgefangenen.

 

 Julia Raschke, 10.2

Die Sterblichkeit bei den russischen Kriegsgefangenen war sehr hoch und es mussten schnell geeignete Begräbnisplätze gefunden werden. Die ersten 27 Toten wurden an der Nordgrenze des Waldfriedhofes vergraben; dort befinden sich jetzt – auf Initiative des Ortsrates der Nordstadt – ein mit Stacheldraht umwickeltes Kreuz und vier Steinplatten mit einer Inschrift. Durch den hohen Grundwasserstand  sammelte sich in den Gruben, in die die Leichen gekippt wurden,  das Wasser und es musste hier wegen Seuchengefahr auf weiteres Verscharren von Leichen verzichtet werden. Die Sterblichkeitsrate stieg aber so dramatisch an, dass ein anderer „geeigneter“ Platz gefunden werden musste: Neben der städtischen Müllkippe wurde ein solcher Platz gefunden; es ist der frühere Russenfriedhof, heute heißt er Ausländerfriedhof.

  

Larissa Michel, 10.2

Frauen im arbeitsfähigen Alter sind auch Frauen im gebärfähigen Alter.

Waren sie schwanger, wurde darauf keine Rücksicht genommen. Hatten sie ihr Kind geboren, wurde es ihnen nach der Geburt  weggenommen und die Frauen mussten nach der Geburt wieder an die - sehr schwere - körperliche Arbeit. Die Kinder kamen in ein für sie bestimmtes  Kinderheim, das in Rühen lag.  Für die Mütter bestand keine Möglichkeit ihr Kind zu stillen, denn 1. war der Weg zu weit - für einen Fußweg nach Rühen  reichte die Zeit nicht - und 2. waren die Frauen durch die 12-stündige Arbeit zu sehr entkräftet und ausgemergelt.

Das Kinderheim unterstand dem Arzt Dr. Körbel. Er wurde 1947 nach einem Prozess durch die Alliierten hingerichtet.

  

Florian Bartz, 10.1

Körbels Vergehen?

394 Säuglinge durch Vernachlässigung einem qualvollen Tod überlassen zu haben!

Viele dieser Kinder sind hier begraben.

Körbel hat die Schuld am Tod der Säuglinge von sich gewiesen: Für ihn waren „die Umstände“ schuld. Außerdem wären alle Ostarbeiterkinder mit einer „besonderen Lebensschwäche“ geboren worden.

Kinder, die nur mangelhaft ernährt, die von nicht behandelten Infektionen geplagt, von Ungeziefer Tag und Nacht gequält wurden, die wimmernd vor Entbehrungen dahin siechten – denen war der Tod durch den Arzt Körbel verordnet.  Sie liegen hier auf diesem Friedhof. Ihre Mütter bauten mit Tränen und Schmerzen und mit ihrem und dem Leben  ihrer Kinder das Werk auf.

  

Ryma Chikh-Rouhou, 10.1

Ist es nötig, sich immer und immer wieder an dieses Elend zu erinnern?

Reicht es nicht, wenn man Bescheid weiß über die Dinge, die damals geschehen sind und die mit unserem Leben heute eigentlich nichts mehr zu tun haben?

Haben wir als junge Generation nicht das Recht, uns frei zu machen von den Verfehlungen, die unsere Vorfahren begangen haben?

Tragen wir als junge Menschen, die ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der faschistischen Diktatur geboren wurden, in irgend einer Weise noch  Verantwortung für die deutsche Geschichte von damals?

 

 

Sina K. Heydekorn, 10.2

Alle Fragen könnten wir mit „nein“ beantworten und wären befreit.

Was aber bleibt, ist: Wir tragen Verantwortung für unsere Geschichte. Wenn die junge Generation vor 60 Jahren gewusst hätte, woran man sie eines Tages messen wird – sie hätten so nicht mitgemacht, denn sie waren keine Unmenschen! Sie sind einer gigantischen Verführungsmaschinerie auf den Leim gegangen, weil sie nicht wussten, wohin die Reise geht. Wir haben die Möglichkeit, aus der Geschichte unserer Großeltern zu lernen.

Mit der Erinnerung geben wir den missbrauchten Toten ihre Würde zurück und haben die Möglichkeit, den Teil, der eines Tages die Geschichte unserer Generation sein wird, zu gestalten. Wir müssen nicht Politiker werden oder an anderen Schalthebeln der Macht sitzen, nicht jeder kann oder will eine solche Funktion ausüben.

Aber unsere menschliche Wachsamkeit kann an vielen kleinen Stellen  zur Veränderung und Verbesserung beitragen.

 

 

Annika Scharenberg, 10.1

An der – eigentlich schon historischen – Gestalt Dietrich Bonhoeffers, er wurde vor mehr als 60 Jahren von den Nazis ermordet,  haben wir dazu viel gelernt.

Erzogen wurde in seiner Familie  nach drei Grundsätzen, die schon in der Bibel zu finden sind.

Bonhoeffer ist in seinem Leben von diesen Grundsätzen nicht abgewichen. Sie lauten:

1.      Behandle alle Menschen gleich anständig, denn allen hat Gott das Recht auf Leben gegeben. Dir steht es nicht zu zu glauben, Du seiest mehr wert als ein anderer Mensch.

2.      Würde und Leben gehören zusammen; lasse also deinem Nächsten seine Würde, beleidige ihn nicht, es schmerzt zu sehr.

3.       Behandle die Menschen so, wie auch du behandelt werden möchtest; ist jemand in Not, dann verweigere nicht dein freundliches Wort – es kann Leid und Elend mildern.

 

 

Kirsten Müntinga, 10.1

Mit diesen drei Grundsätzen sind wir schon ein ganzes Stück weiter auf dem Weg zu einer besseren, menschlicheren  Welt.

Aber es fehlt noch das, was uns Wolfgang Borchert, ein junger deutscher Schriftsteller, der früh an den Folgen des 2. Weltkrieges starb,   gelehrt hat.

„Sag NEIN“ fordert er uns auf. Damit meint er: Habe Mut, an der Stelle, an der Du Deinen Mann oder Deine Frau im Leben stehen wirst, zu sagen: „NEIN“.

Wehrt Euch gegen Entscheidungen,

                                 die gegen das Leben,

                                        die gegen die Würde der Menschen oder

                                                  die gegen die Nächstenliebe verstoßen.

 

 

 

 

Literaturhinweise bzw. Quellenangaben:

 

1.      Siegfried, Klaus – Jörg: „Das Leben der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk 1939 – 1945“, Campus Verlag 1986

2.      Knopp, Guido: „Hitlers Manager“, Goldmann Verlag 2007

3.      „Topografie der Erinnerung“, herausgegeben im Auftrag der

      Braunschweigischen  Landschaft e.V., Braunschweig 2004